Im Aberglauben unserer Heimat wurde früher heimlich und unter vorgehaltener Hand sehr viel über Frauen und Männer gesprochen, die im Besitz von übermenschlichen Kräften sowohl zum Guten als auch zum Bösen hin sein sollten. Sehr oft aber wurden in diesem Zusammenhang auch Menschen unserer Dörfer zu Hexer oder Hexen abgestempelt und mit Vorsicht und Furcht behandelt. Dies führte mitunter zur offenen Ablehnung und Diskriminierung.
Man glaubte, dass diese Menschen mit ihren „Kräften“ andere in ihren Willensbereich und unter ihre Kontrolle bringen könnten. Die einen, die Gutes tun, stehen unter den Gesetzen Gottes, die anderen mit den bösen Einwirkungen unter dem Gesetz des Bösen. So wird erzählt, dass beide Gruppen vor ihrem Tode die „Macht“ oder „Kraft“ an einen Menschen anderen Geschlechtes „abgeben“ müssen. Diese „besonderen Kräfte“ könnten immer nur von einem Mann auf eine Frau oder umgekehrt übertragen werden. Ohne die „Abgabe“ seien diese Menschen nicht im Stande, einen friedvollen Tod zu finden. Nach mündlicher Überlieferung habe es Menschen gegeben, die trotz schwerster Krankheit und schon „halbtot“ nicht sterben konnten. Erst nachdem ihm ein anderer die „Macht abgenommen“ habe, seien sie friedlich eingeschlafen.
Den Kindern wurde eingeschärft, jeden Tag zu beten, um gegen diese Menschen und ihre „Kraft“ gefeit zu sein. Bei der Begegnung auf offener Straße sollten sie leise dreimal Amen oder „Gottwalts“ (Gott walte es) sagen. Auch so sei den „Kräften“ Einhalt geboten. Im Gespräch mit der betreffenden Person sollte man sich hüten, dreimal hintereinander „ja“ zu sagen, sonst würde man unter den Bann der „Kraft“ geraten. Den Menschen mit „übermenschlicher Kraft“ wurde häufig der „böse Blick“ zugesprochen. Man glaubte, diese Menschen könnten schon alleine durch ihren Blick anderen Menschen Böses tun. Menschen mit bösen „Kräften“ mussten dem Bösen in ihrem Leben mehrere Menschenleben opfern.
Bei ihren Handlungen benutzten diese Menschen die „Gesaane“, Beschwörungsgebete, die meistens beim Abendläuten von ihnen leise gesprochen oder gemurmelt wurden. Dabei blickten sie ihren „Patienten“ mit festem Blick an und schlugen mit der rechten Hand häufig das Kreuz über ihn. Während der Handlung durfte sich von den übrigen Anwesenden niemand bewegen oder sprechen. In einigen Fällen ist bekannt, dass alle „Löcher“ des Hauses drei Nächte lang fest verschlossen werden mussten, um das Eindringen des „Bösen“ zu verhindern. Man glaubte, dass sich derjenige, der dem „Patienten“ Böses angetan hatte, in andere Gestalten verwandeln könne, so z. B. in eine Katze. Diese könnte dann durch Löcher ins Haus schlüpfen und um Mitternacht die böse Macht wieder einwirken lassen. Der gute „Gesaan“ eines anderen würde dadurch aufgehoben.
IM FOLGENDEN EINIGE BEISPIELE ZU GUTEN UND BÖSEN „GESAANEN“ UND DEREN BEHANDLUNG
Warzen
Warzen sollten vergehen, wenn der „Gesaansprecher“ einen Apfelkrotzen beim Abendleuten dreimal über diese rieb und dann in Nachbars Garten warf. So wie der Apfel verfaulte, vergingen die Warzen.
Das Abnehmen
Wenn ein Kind oder ein Erwachsener plötzlich und ohne Grund körperlich abnahm und immer schwächer wurde, holte man den, „der es konnte“. Beim Abendläuten wurde der „Patient“ mitten in die ausgeräumte Stube gelegt, den Kopf in Richtung Osten (Jerusalem!); der „Gesaansprecher“ hat dann den Betreffenden mit Zwirnsfäden „vermessen“, seinen „Gesaan“ gemurmelt und mehrmals das Kreuz geschlagen. Der Patient durfte drei Tage lang das Haus nicht verlassen und mit keinem Fremden außer den Familienangehörigen zusammenkommen.
Das Albdrücken
Wenn Patienten plötzlich nervlich krank wurden und Angstzustände, verbunden mit Herz- oder anderen Organschmerzen (hauptsächlich jedoch Herzschmerzen) hatten, vermutete man das Abdrücken. Ein böser Mensch hatte dann durch bösen „Gesaan“ den Menschen in Gewalt und drückte ihm von Ferne das Herz und die Seele ab. Um dies abzuwenden wurde dreimal an drei Abenden beim Abendläuten der gute „Gesaan“ gesprochen, wobei der Mensch mit guten Kräften dem „Patienten“ den linken Arm hielt und bis zum Herzen Streichbewegungen ausführte. Der „Patient“ durfte drei Tage das Haus nicht verlassen, alle „Löcher“ wurden drei Tage verschlossen und kein Fremder durfte das Haus betreten.
Viehkrankheiten
Unerklärliche Viehkrankheiten wurden oft durch gute „Gesaane“ behandelt, ehe man einen Tierarzt zu Rat zog.
Die Reihe der Beispiele ließe sich weiter fortsetzen. Sicher aber gibt es Leser, die hier mit dem Kopf schütteln werden und meinen, so etwas kann es doch nicht gegeben haben oder geben. Dass der Aberglaube und die vorgenannten Dinge in unserer Heimat fest verwurzelt waren, belegen alte Originalhandschriften, die sich teils in Privatbesitz, teils in Archiven befinden.